Oh Plastikbaum

Fast fünf Monate bin ich jetzt schon hier in Kanada. Angekommen im wunderhübschen Terrace, dem Kassel von British Columbia, genieße ich hier meine zehn Monate inmitten Bergen, Seen und Wäldern. Terrace hat etwa fünfzehn tausend Einwohner in der Metropolregion und liegt inmitten der Coast Mountains. Es gibt hier auch noch den Skeena River, der Lachsreichste Fluss in ganz Kanada. Man sieht Fischer aus aller Welt, vierundzwanzig Stunden am Tag, auf der Suche nach dem begehrten Fisch, selbst im kalten Winter.

Jetzt sind gerade meine ersten richtig weißen Weihnachten seit Langem zu ende gegangen und meine allerersten Plastikbaumweihnachten. Wunderschön, wie sie verstaubt in den Ecken von jedem Wohnzimmer stehen, diese Alibi-Bäume, geschmückt mit sagenhaft artifiziellen Elektrokerzen und farblosen Zuckerstangen, manche treiben es auch zur absoluten Spitze und panieren ihre «Bäume» mit diesem Plastikmüll, ich meine Lametta. Dann noch luftdicht verschnürt mit blinkenden Lichterketten und fertig ist er – wo ist der Baum?

Ansonsten gehe ich hier jetzt ziemlich oft Skifahren. Das Gute ist, dass das kleine Skigebiet nur dreißig Minuten von Terrace entfernt ist. Sagenhafte Tiefschneehänge mit atemberaubenden Panoramen liegen hier vor einem. Mich hat es beim ersten Mal reichlich verwundert wie viele Weihnachtsbäume hier die schwarzen Pisten schmücken, wahrscheinlich Lawinenschutz, die meisten Hänge werden konsequent nicht präpariert. Es kommen Menschen aus aller Welt eingeflogen, nur um den Schnee hier auszunutzen und um durch die Bäume zu rauschen.

Doch jetzt zum für die Synkope wirklich relevanten Thema, der Musik. Ich bin hier im Schulchor, hoffentlich liest der ehemalige Chorleiter das nicht, welcher allerdings nicht schlecht ist, in der Konzertband und bald vielleicht auch noch in der Jazzband. Des Weiteren spiele ich noch in der Terrace Community Band. Mit den Schulgruppen fahren wir im April nach Seattle, was natürlich ausgesprochen viel Motivation gibt. Mit der Community Band sind wir auch manchmal auf Tour, hier gehen wir nächstes Jahr noch auf einige regionale Festivals.

Das Einzige was mich bis jetzt ziemlich enttäuscht hat, sind die hier angeblich ansässigen Bären, insbesondere die für Terrace bekannten weißen Kermode Bären. Ich habe seit meiner Ankunft im August noch keinen einzigen gesehen. Wenn ich hier im Busch joggen gehe, grusele ich mich mehr vor den Hunden. Ich glaube inzwischen, dass es hier mehr afrikanische Elefanten, als Bären gibt, hat irgendwer einen Gegenbeweis? Mir wird jeden Tag erzählt, wie viele Unfälle durch Bären verursacht werden, und alle zwei Tage sollen sich hier wohl Bären auf dem Weg zum Shoppen machen, kein Wunder, dass man sie dann mitten in der Stadt sieht, ich natürlich nicht. Wie auch immer, jetzt wird das auch erstmal nichts mit der Bärenbegegnung, da die jetzt in ihrem dämlichen Winterwachkoma lauern.

Außer der Bärenpleite ist hier soweit alles gut, natürlich freue ich mich in fünf Monaten den Knabenchor unter neuer Leitung wiederzusehen.