Ein arger Wüterich
Perlen von Holstein Folge 13
Januar 1998
Die Handelsschule Kellinghusenstraße war, wie der Name ja bereits verriet, eine Schule und am späten Nachmittag entsprechend leergefegt. Treppenhäuser, Korridore und nicht abgeschlossene Klassenräume luden in der Pause zum Entdecken ein. Ein nicht ungefährliches Vergnügen, denn wir waren hier nicht ganz alleine.
Unten im tiefsten Gewölbe lauerte ein furchterregendes Ungeheuer. Die wenigsten von uns hatten es je zu Gesicht bekommen und doch wussten wir alle, dass es da war. Hatte es einen von uns ausgemacht, hörten wir, wie in der Ferne eine Tür aufgerissen wurde. Und dann ging alles ganz schnell. Jemand schrie: «Der Hausmeister, der Hausmeister!», und alle sprangen auf rannten wie die Teufel zur sicheren Aula.
Was ich von Hausmeistern zu halten hatte, wusste ich von einer Benjamin-Blümchen-Kassette. Das Exemplar der dortigen Grundschule war öfter als Vertretungslehrer eingesetzt worden. Keine gute Idee, denn: «Der Hausmeister ist bekannt dafür, dass er Kinder auf den Tod nicht leiden kann. Neulich hat er ’nem Jungen aus der Vierten eine reingehauen und gedroht: ‹Wenn du was erzählst, kommst du in den Keller!›.»
Allerdings: Meine wenigen persönlichen Begegnungen mit Hausmeistern hatte ich stets unbeschadet überstanden. Der von meiner ersten Grundschule hatte mir sogar einmal beim Aufpumpen meines Fahrradreifens geholfen. Vermutlich hatte ich bisher einfach großes Glück gehabt. Der Mensch, mit dem wir es hier regelmäßig zu tun bekamen, war jedenfalls allseits gefürchtet.
Wobei, nicht ganz: Unsere Chorleiterin Frau Siebenkittel ließ sich nicht so einfach einschüchtern. Sie wusste nämlich, wie so ein dahergelaufenes Kellerungeheuer zu bändigen war.
«Das kann ich wirklich überhaupt nicht leiden, wenn Erwachsene sich über Kinder aufregen», sagte sie, «Wisst ihr, zu so einem wie dem müsst ihr einfach sagen: ‹Ach, aber ihre Rente wollen Sie bekommen? Die bezahl’ nämlich ich!›»
Doch selbst wenn einer von uns ernsthaft erwogen hätte, das einmal zu tun: Im Angesicht des Feindes dürfte ihn jeder Mut verlassen haben. So konnte dieser weiter sein Unwesen treiben.
Als dann eines Tages einer der älteren Knaben in der Pause einen Stuhl aus dem Fenster warf, waren wir sicher: Sein letztes Stündlein hatte geschlagen. Zumindest würde Weihnachten dieses Jahr für ihn ausfallen. So ein Stuhl war schließlich teuer. Der Hausmeister fand das dementsprechend ganz und gar nicht witzig. Er lud unsere Chorleiterin zu einem längeren Gespräch vor. Sie erklärte sich bereit, bei der Aufklärung des Vorfalles und mit ihm zusammenzuarbeiten und den Täter dingfest zu machen.
In der nächsten Probe schliff sie das Möbelstück zu sich nach vorne. Dort ließ sie es mit Schwung auf das Parkett knallen.
«Ja, also», sagte sie, «jetzt kommt hier der Hausmeister an und erzählt mir, jemand hat diesen doofen Stuhl hier aus dem Fenster geworfen und dass das einer von euch gewesen sein soll. Das stimmt doch aber nicht, oder?»
«Ne-ein!», antworteten wir.
Womit sich die Sache ein für alle Mal erledigt hatte.