Chorfreundschaft. Gastbeitrag

Wie ihr wisst, erwarten wir in wenigen Wochen endlich den Knabenchor aus Hamburg bei uns – nach dieser Ankündigung wurde das Choraktiv sofort durch Beifall und Jubel unterbrochen – Und es ist nun unsere Aufgabe, ihren Aufenthalt hier unvergesslich zu gestalten. Deswegen die Frage, was können wir anstellen? Wer hat eine Idee?

So entwickelten sich über die Wochen Schlagworte wie Geländespiel oder Völkerschlachtdenkmal, schließlich wurden aus Ideen konkrete Pläne und ehe ich es mir versah, kam auch schon der Bus mit unserem langerwarteten Besuch angerollt. Nach herzlichen Begrüßungen und Momenten des gemeinsamen Lachens fand dann die Probe statt und der Klang war unübertrefflich – so habe ich es mir zumindest beschreiben lassen, weil ich leider mit Abwesenheit geglänzt habe.

Gerade rechtzeitig zur Verkündung eines äußerst komplizierten Spiels, anstatt einer Fortsetzung der Probe, bin ich dann hinzugestoßen. Für die mit dem Spiel ebenso wenig vertraut sind, wie ich es vor Romans Fragen war, werde ich es mit eigenen Worten zusammenfassen. Im Prinzip ist es ganz simpel. Jeder Teilnehmer schreibt seinen Namen und einen beliebigen Gegenstand auf zwei separate Zettel. Alle erhalten dann wiederum zwei Zettel. Sie müssen die Person X auf dem gezogenen Zettel dazu bringen, den Gegenstand auf dem zweiten Blatt zu berühren. Daraufhin scheidet Person X aus und muss seine beiden Zettel an den Spieler geben, der für seine Niederlage verantwortlich ist. Dieser darf dann also wiederum versuchen, den Spieler auf seinem neuen Zettel aus dem Spiel zu werfen. Und so geht der Spaß immer weiter. Wobei der Spaß manchmal nur von kurzer Dauer ist. Wie viele andere bin ich noch vor Verlassen des MDR Gebäudes aus dem Spiel ausgeschieden und konnte mich nur mit meinem Grinsen im Gesicht auf den nächsten Tag voller Lacher freuen.

Das Grinsen war am nächsten Morgen nicht mehr so intakt, weil ich ordentlich verschlafen hatte und mich als Stationsleiter für das berühmt-berüchtigte Geländespiel eigentlich eine Viertelstunde vor allen anderen einfinden sollte, nicht fünfzehn Minuten nach ihnen. Auch hier werde ich für Außenstehende unsere sagenumwobene Rallye erklären. In diesem Fall waren elf Stationen in der Innenstadt Leipzigs aufzusuchen, an welchen jeweils ein Mitglied des MDR-Kinderchores aufzufinden war und den Gruppen, bestehend aus Sängern beider Chöre, verschiedene Aufgaben gegeben hat, die es zu erfüllen galt. Solche Geländespiele sind bei uns nun schon seit vielen Jahren ein Highlight der jährlichen Sommerprobenwoche. Sie bieten eine verdiente Pause von langen Proben und die Möglichkeit, bei den ulkigsten Aufgaben Teamgeist und Können zu beweisen.

Wenn also auch mit Verspätung ging es dann ausgestattet mit Malerkrepp, Eddings und meinem Bewertungsbogen in den eisigkalten Park, wo dann jede Gruppe auf die Gedächtnisprobe gestellt wurde. Nachdem mehr oder weniger alle die Stationen abgeklappert hatten, gab die Mittagspause in der Moritzbastei erneut Zeit, um gemeinsam zu lachen und zu schnacken, wie ihr aus dem fernen Norden es so schön formuliert. Gut gestärkt kam schließlich die Idee eines Wettsingens der Chöre auf, ganz ohne Chorleiter. Beide Chöre sollten innerhalb von fünfzehn Minuten in verschiedenen Teilen der Innenstadt durch ihren Gesang so viel Geld wie möglich einnehmen. Die Idee wurde selbstverständlich voller Begeisterung umgesetzt und beim Singen ist mir dann so richtig klar geworden, wieso bei jeder Probe und jedem Konzert eigentlich jemand vor dem Chor steht und mit energischen Bewegungen beim Dirigieren fast vom Podest fällt. Ohne Dirigenten klingt die ganze Sache einfach nicht. Mal zu hoch, mal zu tief, mal zu schnell, mal zu langsam oder am besten alles irgendwie gleichzeitig. Ja, das gibt’s wirklich! Da hilft natürlich nur eins – selbst Hand anzulegen. Und auch hier wurde mir erneut etwas klar, Maestra kann ich von meiner Liste mit potentiellen Berufen fürs spätere Leben streichen.

Auch wenn es nicht immer ganz perfekt klang, hatten wir doch alle einen riesigen Spaß beim Singen und waren auch recht zufrieden mit unseren Einnahmen. Noch ein letztes mal durfte ich mich dann vor beiden Chören zum Hampelmann machen, bis ich zu meinem Glück von Jan abgelöst wurde. Aber eins muss man sagen: Die Leute staunen nicht schlecht, wenn dann auf einmal hundert Menschen vor ihnen stehen und die Innenstadt mit Klang füllen, egal wer den Takt angibt. Die Freizeit wurde dann genutzt, um das ersungene Geld direkt wieder für Eis auszugeben und um uns gemeinsam auf dem Weg zum nächsten Programmpunkt zu machen, dem Völkerschlachtdenkmal. Gemeinsames Singen in dem Denkmal war die wahrscheinlich schönste Art, den Nachmittag mit allen Sängern ausklingen zu lassen und nochmal die Stadt von oben zu bestaunen. Die Menschenmasse wurde immer kleiner. Einige fuhren nach Hause, um sich eine Mütze Schlaf für den nächsten Tag zu sichern, während andere erneut in die Stadt fuhren, um in dem einen oder anderen Lokal zusammen zu quatschen, Geschichten aus dem Chorleben auszutauschen und selbstverständlich um lauthals miteinander zu lachen. Der gemeinsame Abend war ebenso schön wie der Tag mit beiden Chören und bleibt mir noch lange in Erinnerung.

Zum Ablauf des Sonntages kann so einiges gesagt werden, aber mir fehlen dennoch die Worte. Dass der Tag anders verlaufen ist als erwartet, ist allen klar. Für mich wird jener Sonntag aber nicht nur ein Tag sein, an welchem ich eine so wichtige und wundervolle Freundin verlor, sondern auch ein Tag, an dem ich zweiundvierzig neue Freunde dazu gewann. Denn trotz des Schmerzes und der Trauer haben ich und viele andere uns an diesem Tag gut aufgehoben gefühlt. Sei es, weil man in den Arm genommen wurde oder sei es, weil man sich einfach mit jemandem in den Park setzen konnte, ohne Gespräche führen zu müssen. An diesem Tag war niemand auf sich allein gestellt. In der Nikolaikirche saßen an diesem Nachmittag auch nicht zwei Chöre, sondern ein Chor mit so vielen Menschen, die ähnliche Gefühle teilten und füreinander sorgten. Für all das bin ich sehr dankbar.

Auch wenn das für uns der erste Choraustausch dieser Art war, kann ich mit großer Gewissheit sagen, dass wir uns keine bessere Truppe als euch hätten wünschen können. Trotz allem, was sich ereignet hat, war es eine unvergessliche Zeit mit euch. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir bald wieder aufeinander treffen und es dann bei einem Konzert so richtig krachen lassen!